Wir sind umgezogen und angekommen. Bis auf ein paar Lampen und Bilder hat alles seinen Platz gefunden. Manchmal kann ich kaum glauben, dass dieses Licht durchströmte, neue Zuhause für uns ist. Und doch fühlt es sich schon sehr wie Daheim an, jetzt wo es von unseren Sachen besiedelt ist. 

Lange Jahre habe ich über unsere alte Dreizimmerwohnung gesagt: “Nenei, wir haben genug Platz, es geht schon.” Aber jetzt, wo ich in Schubladen und Schränken nicht mehr Tetris spielen muss und alle in der Familie eine Rückzugsecke haben, atme ich doch freier und leichter. 

Das Umziehen an sich ist trotzdem ein umwälzendes Ereignis. Wie meine Freundin, Tanja Forcellini, zu mir gesagt hat: “Wie es halt so geht, wenn man die Wurzeln in ein neues Töpfchen umpflanzt.”

Wie jede Veränderung haben mich die Zügelkisten und Regalteile an ein paar Lebensweisheiten erinnert: 

1. Neu macht glücklich

Noch in der alten Wohnung spürte ich zwischendurch Verunsicherung: Was wenn mich die Tramgeräusche vor dem Haus stören werden? Was wenn das neue Klo sich nicht für Yonisteaming (Sitzdampfbäder) eignet? Was wenn unsere Küchengeräte nicht alle Platz haben? Würde ich mich an neue Laufwege und Handgriffe gewöhnen?

Absurde Gedanken, aber ich hatte sie, wahrscheinlich Anzeichen des Bammels vor dem Unbekannten. Jetzt, wo sie da ist, weiss ich wieder, wie viel frischen Wind Veränderung mit sich bringt – und wie ich diese Brise liebe. 

Alles ist ein Novum: das Abendlicht durchs Badezimmerfenster, der Blick auf die urbanere Umgebung, die unschlagbare Nähe zur Migros, die neuen Heimwege und nicht-rechtwinkligen Wände. Die Freude, dass der Tisch doch in die Küche passt. Die reduzierte Einfachheit in meiner Yogakammer unter dem Dach. 

Es ist beglückend, sich Neues anzueignen. Wir Menschen sind dafür geschaffen, denn die Natur hat es so eingerichtet: Unser Gehirn schüttet den Neurotransmitter Dopamin aus, wenn uns etwas gelingt oder wir etwas Neues entdecken. Es ist der kleine grosse Triumph, wenn ein Puzzleteil ins andere passt oder wir mit dem Ball ins Tor treffen. Das Glücksgefühl, wenn wir im Yoga eine Armbalance schaffen.

"Es ist beglückend, sich Neues anzueignen."

Das dopaminerge Belohnungssystem war ursprünglich dazu da, damit wir in der Wildnis bei der Nahrungssuche nicht gleich aufgeben. Das Glücksgefühl beim Beerenfund sollte als Anreiz verhindern, dass unsere Spezies verhungert. Das Dopamin-High ist der Grund, weshalb wir Neuigkeit - wie beispielsweise die Honeymoon-Phase in Beziehungen – als euphorisierend erleben. 

Früher haben wir deswegen fremde Länder bereist. Heute reicht ein Umzug im Quartier, damit wir die Scheuklappen öffnen und die Welt wieder im Weitwinkel sehen. 

2. Geduld üben

Es gibt wenig, was mich in die Knie zwingt: Fasten, Muttersein... und Umziehen. Wie bereits letzte Woche geschildert, gehöre ich zu jenen Menschen, die alles huschhusch erledigt haben wollen. Eine Anleitung langsam lesen und verstehen anstatt zu überfliegen, verursacht bei mir schon gereiztes Aufstöhnen.

Aber was tun, wenn niemand sonst da ist, um die Hocker zusammen zu bauen? Selber geduldig acht Schrauben mal drei ins Tabourettli reindrehen. Ganz wie bei den Yin-Stellungen habe ich ich mich dann nach und nach drauf eingelassen, dass es halt länger als drei Minuten geht. 

Eigentlich ganz heilsam im hektischen Umzugsmodus.

3. Loslassen – immer wieder

Am ersten Schultag nach dem Umzug kam mein Sohn ganz zappelig nach Hause. Er hatte ein paar Freunde in unseren neuen Garten eingeladen – ohne sich vorher gross mit mir abzusprechen. Ich hatte den Vormittag in der IKEA verbracht und mich auf einen ruhigen Nachmittag gefreut. 

Die Kindergang teilte mir mit, sie wolle mit den Trottis durchs Quartier rattern. Ich kenne die Strässchen um den Block noch nicht, und wir Eltern waren noch gar nicht dazu gekommen, den Perimeter fürs kindliche Erkunden abzustecken. 

Erst recht nervös wurde ich, als meine vierjährige Tochter unbedingt mit wollte – und auch durfte. Ich war gerührt, dass der grosse Bruder sie unter seine Fittiche nahm. Aber ich lief oben in der Wohnung hibbelig von Fenster zu Fenster und versuchte, die Rasselbande zu erspähen oder wenigstens zu hören.

Nach einer halben Stunde erkannte ich, dass ich als Helikoptermama rein gar nichts bewirken würde. Mir blieb schlicht nichts anderes übrig, als ins Vertrauen zu gehen. Schliesslich ist es ein Glück, wurden die Kinder so begeistert in der Nachbarschaft empfangen. Sie platzten fast vor Aufregung. 

"Und so hiess es – einmal mehr – loslassen und sich mit ihnen freuen." 

Und so hiess es – einmal mehr – loslassen und sich mit ihnen freuen. 

4. Die Gurke fällt vom Stängel, wenn sie reif ist

Ich habe mich in den letzten Tagen oft gefragt, ob ich mir die alte Wohnung zu lange schön geredet habe. Hätten ich früher auf mein Bedürfnis nach mehr Raum hören sollen? Andererseits haben wir in den letzten Jahren immer wieder Wohnungen angeschaut. Aber die richtige war nie dabei. Erst bei der aktuellen Wohnung hatten wir ein gutes Gefühl und haben alle Hebel in Bewegung gesetzt. 

Ich frage mich: Wann ist es wie in einer Yin-Stellung sinnvoll, nicht gleich das Handtuch zu schmeissen, wenn eine Situation unbequem wird? Und wann ist der Zeitpunkt, um auf die innere Stimme zu hören und eine Veränderung in Gang zu bringen? Wann geben wir den Umständen eine Chance, sich wieder zum Besseren zu wenden oder wann ist der richtige Moment, um die Reissleine zu ziehen?

"Die Gurke fällt vom Stängel, wenn sie reif ist."

Mein Mann hat mir mit einem meiner Lieblingszitate geantwortet: "Die Gurke fällt vom Stängel, wenn sie reif ist."

Veränderungen geschehen, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Wir dürfen uns zutrauen, dass wir den Moment nicht verpassen werden. 

Photo credit: Theo Dorp