Aufgrund ihrer eigenen Körperform und Erfahrung lancierte Sandra vor einigen Jahren das Format "Yoga für mehr Körper." Der Erfolg blieb aus. Niemand wollte sich als hochgewichtige Person im Yoga outen.
Sandra ist trotzdem weiterhin der Ansicht, dass hochgewichtige Menschen einen Zugang brauchen. Sie selbst ist seit ihrer Jugend hochgewichtig. Manche Yogapositionen kann sie deshalb nicht so ausführen, wie sie oft angeleitet werden.
"Es gibt aber für alle Menschen Varianten und Anpassungsmöglichkeiten", sagt sie. "Man muss sie einfach kennen und anbieten. Aber oft sind wir für unterschiedliche Voraussetzungen zu wenig sensibilisiert und vorbereitet."
Was hat dein Körperbild geprägt?
Ich muss dazu sagen, ich war schon immer rundlich. In meiner Familie sind alle so gebaut. Und sie haben mir immer das Gefühl gegeben, ich sei wichtig und wertvoll.
Meine Eltern gaben mir nie Anlass, mich unzulänglich zu fühlen. Vielleicht spüren die Leute, dass ich in dieser Hinsicht nicht verletzlich bin. Ich war auch in den 80ern jung. Ausser Cindy Crawford und Jane Fonda waren alle anderen total normal und weiblich.
Von 14 bis 24 hatte ich den gleichen Freund. Er fand mich immer schön, ich hatte das Gefühl, ich sei vollkommen okay.
Menschen mochten mich. Niemand sagte: «Du bist ein toller Mensch, aber du bist so dick.»
Alle sagten mir ich sei schön und nett. Ich wurde nie gemobbt und hatte immer tolle Freundinnen.
Vom gesunden Körperbild zur Optimierungsfalle
Mit 15 war ich noch normalgewichtig, nahm dann aber immer mehr zu. Meine Selbstwahrnehmung veränderte sich, als ich realisierte wie andere Frauen in Filmen und in der Werbung aussahen. Ich dachte so müssen alle Frauen aussehen, da fing ich an mich selber unter Druck zu setzen. Lange blieb ich auf diese Äusserlichkeiten fixiert und eiferte einem Ideal nach.
Mit 18 Jahren machte ich meine erste Diät. Ich ass nur Zwieback und trank zuckerfreien Tee. Mit 20 zog ich von zu Hause aus und ass nur noch, was ich gern mochte. Bis 25 nahm ich immer mehr zu.
Und wie ging es danach weiter?
Ich rutschte in die Fitnessszene rein. Der Sport veränderte meinen Körper, und ich erntete mehr soziale Anerkennung dafür. Ich dachte aber, ich muss noch mehr leisten, noch schlanker werden. In meinem Umfeld waren alle schön und sportlich, und ich wollte noch mehr dazu gehören.
Mit 32 entschied ich mich, ein Magenband einsetzen zu lassen.
Das hatte drastische Konsequenzen für meine Gesundheit. Ich hatte miserable Blutwerte, weil ich keine Vitamine mehr zu mir nehmen konnte. Nach den ersten fünf Jahren war das Magenband verrutscht. Ich konnte immer weniger bei mir behalten, ernährte mich Cola und Rahm. Ich erbrach mich ungefähr zehnmal pro Tag.
Ich hatte 45 Kilo abgenommen, meine Schlüsselbeine standen hervor. Im Gesicht war ich ganz eingesunken. Das Bauchfett war trotzdem noch da.
Wolltest du irgendwann nicht deine Lebensqualität zurück?
Ich entschied mich das Magenband entfernen zu lassen. Ich hatte Angst vor der erneuten Gewichtszunahme. Dabei sehe ich jetzt, wieder ausgefüllt, viel schöner aus. Als ich pro Woche wieder ein Kilo zunahm, hatte ich Panik. Aber sie ging auch wieder vorbei.
Ich erinnere mich an meine erste Peperoni nach der Magenband-Entfernung. Sie ging einfach runter und schmeckte so gut.
Endlich verstand ich: Es geht um Akzeptanz und nicht darum, sich ständig zu optimieren.
Ich wollte dazugehören, jetzt gehöre ich zu mir.
Yoga brachte nur Gutes
Wie und warum hast du mit Yoga begonnen?
Ich arbeitete in Zürich und pendelte von Bern aus zur Arbeit. Ich war gestresst und erschöpft. An der Zuglinie, kurz vor der Einfahrt in den Berner Hauptbahnhof, hing die Werbung für ein Studio, Yoga Mudra.
Ich hatte gehört, Yoga hätte mit Entspannung zu tun. Also ging ich einfach hin, ohne jegliches Vorwissen.
Yoga tat mir vom ersten Moment an gut und faszinierte mich.
Das Publikum bei meiner ersten Lehrerin war sehr durchmischt. Ich fühlte mich wohl, hatte gar nicht den Impuls, mich mit anderen zu vergleichen.
Nach der Yogaklasse, die ich regelmässig besuchte, hatte ich immer viele Fragen. Die Lehrerin empfahl mir, mich zur Yogalehrerin ausbilden zu lassen, um meine Neugierde zu stillen. Ich hatte Feuer gefangen und entschied mich dazu.
Hast du im Yoga-Kontext offene oder implizite Diskriminierung aufgrund deiner Körperform erlebt?
Nein. Auch während der Ausbildung zur Yogalehrerin spürte ich keine urteilenden Blicke und keine Diskriminierung. Aber vielleicht habe ich das einfach nicht auf dem Radar.
Ich gehe ja auch in jedes öffentliche Schwimmbad und zeige mich im Badeanzug. Das belastet mich nicht.
Hat Yoga dein Körperbild geprägt? Wie beeinflusste die Yogawelt deine Selbstwahrnehmung?
Yoga hat nichts an meinem Körperbild verändert. Yoga hat eigentlich nichts Negatives in mein Leben gebracht. Vielleicht werden Menschen irritiert sein, wenn sie das lesen. Aber es ist tatsächlich so.
Wie siehst du denn die Kultur ums Schlankheitsideal in der Yogawelt?
In Europa und besonders in der Schweiz ist der Fokus an einem falschen Ort. Wir sind so leistungsorientiert und perfektionistisch im Yoga, so wie überall sonst auch.
Selbst wenn man beim Unterrichten immer wieder die Erlaubnis gibt, auf den eigenen Körper zu hören und die eigenen Grenzen zu achten, sind viele Schüler:innen zu ehrgeizig. Sie wollen ästhetisches Yoga machen, sie wollen sich darstellen und als fortgeschritten gelten. Für mich persönlich geht es im Yoga wenig um das Körperliche oder um Leistung.
Schlankheit wird mit Kompetenz gleichgesetzt
Was können wir alle, aber insbesondere Yogalehrer:innen, tun, damit sich am Image von Yoga etwas ändert?
Wir können transparent kommunizieren, dass alle Menschen unterschiedliche anatomische Voraussetzungen haben. Bei den Asanas (Yogastellungen) können wir anbieten, dass Menschen entsprechend ihrer Ausgangslage Anpassungen und Alternativen nutzen.
Aber nur wenige Menschen wollen die Optionen und Varianten in der Yogapraxis nutzen. Die meisten sind viel zu sehr auf Perfektion fixiert.
Ich habe versucht, ein "Yoga für mehr Körper" anzubieten, aber es kamen kaum Leute. Sicher war der Zeitpunkt kurz vor der Pandemie ungünstig. Aber ich denke, es liegt auch daran, dass Menschen sich nicht trauen. Überspitzt gesagt: Sie wollen nicht die sein, die in die Stunde für die Dicken gehen. Das braucht Mut.
Aber auch in "normalen" Yogastunden hatte ich immer ein sehr durchmischtes Publikum. Ich versuche immer, auf unterschiedliche Voraussetzungen und Bedürfnisse einzugehen. Ohne Erfahrung und Einfühlungsvermögen kann man aber solche Angebote gar nicht machen.
Was würdest du den Leuten sagen, die hochgewichtig sind und sich nicht ins Yoga trauen?
Es ist witzig, dass solche Leute lieber zu einer schlanken Person ins Yoga wollen, so wie sie auch nicht zu einer dicken Ernährungsberaterin würden.
Als wäre eine hochgewichtige Person weniger kompetent.
Ich versuche authentisch zu sein und mich so zu zeigen, wie ich bin. Denn eine schlanke Person weiss unter Umständen nicht, was eine hochgewichtige Yogapraktizierende braucht. Ich möchte sensibilisieren: Hochgewichtige Menschen wissen dank ihrer persönlichen Erfahrung, wie man mit dieser Körperform nachhaltig Yoga machen kann.
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