In welcher Sprache erkenne ich mich wieder? Bei SRF Input wurde ich zum Thema Mehrsprachigkeit interviewt. Und realisierte: Mehrere Sprachen bilden meine Identität. Das erschwert mein Gefühl von Zugehörigkeit.

Welche Sprache gehört zu mir?

Meine Muttersprache ist in meinem Empfinden tatsächlich dies – die Sprache meiner Mutter, einer autoritären Figur in meinem Leben. Obwohl ich gerne auf Italienisch flirte und Sprüche klopfe, hat es paradoxerweise für mich auch diese Strenge, die meine Mutter immer ausgestrahlt hat.

Bis zu meinem dritten Geburtstag lernte ich «nur» meine Muttersprache. Es gab noch keine Kitas, die Kinderbetreuung und -Bespassung lag ganz bei meinen Eltern und Grosseltern väterlicherseits. In diesem kleinen Kosmos sprachen alle Italienisch mit mir.

Mit drei steckten mich meine Eltern in den Montessori-Kindergarten. Anscheinend lernte ich dort innerhalb weniger Wochen, mich auf Schweizerdeutsch zu verständigen und Kontakt mit meiner Schweizer Umwelt aufzunehmen. Mein Erinnerungsvermögen setzt auch irgendwo dort ein. So habe ich keine Situation im Gedächtnis abgespeichert, wo ich nicht zwischen zwei Sprachen und Kulturen hin- und herpendelte. Ich lernte schnell, mich überall anzupassen wie ein Chamäleon und als zweisprachige Exotin nicht aufzufallen.

Und ich switche doch zwischen den Sprachen

Meine Eltern sind nicht nur italienischsprachig, sie sind auch Italienischlehrpersonen. Das Switchen, also das Mixen von deutschen und italienischen Satzteilen, war bei uns zu Hause verpönt. Besonders meine Mutter besteht auch heute noch darauf, dass ich und meine Kinder mit ihr solides Italienisch - als reine Sprache - lernen und sprechen. Meine Rebellion bestand darin, dass ich ab der dritten Klasse mit meinem Vater nur noch Schweizerdeutsch sprach. Er ist wie ich als Kind italienischsprachiger Eltern in Bern aufgewachsen. Bis heute sprechen wir zusammen Berner Dialekt, schreiben einander aber auf Italienisch. Schweizerdeutsch, das phonetisch neben Italienisch keine so gute Figur macht, ist bei mir vielmehr als die liebevolle Sprache abgespeichert – so wie mein Vater mit mir war.

Ich kann mich an keine Zeit in meinem Leben erinnern, wo ich nicht geswitcht habe. Nicht so sehr zwischen den Sprachen, aber stark zwischen den mit den Sprachen assoziierten emotionalen Färbungen. In welcher Sprache ich wirklich zu Hause bin? Das kann ich nicht sagen.

Nirgends zu Hause

Ich habe gerade zwei Wochen in Süditalien bei meinen Verwandten verbracht. Wenn das Licht am späten Nachmittag die weissen Fassaden vom azurblauen Himmel abhebt, weiss ein Teil meiner Seele, hier bin ich zu Hause.

Die erwachsene Person, die ich geworden bin, fühlt sich gleichzeitig von überfürsorglichen Verwandten und dem überdrehten Tonfall überrollt. Sie ist zutiefst schockiert, dass erwachsene Frauen und Männer immer noch über ihren Eltern wohnen und sich von denen die Wäsche und den Einkauf, oft auch die Mahlzeiten, machen und bringen lassen. Mädchen werden immer noch zur Abhängigkeit von Männern erzogen. Ihnen wird immer noch eingebläut, dass sie schön und sexy aber auch vorbildlich fleissig sein müssen, um sich ihren Platz im engmaschigen Gefüge der Familie zu verdienen.

Mit meiner Muttersprache ist auch die Kultur verwoben, die ich als beschämend und infantilisierend empfinde. Ich fühle mich fremd, obwohl ich ja dazugehören möchte.

Jetzt wo ich wieder zu Hause bin, fühle ich mich genauso desorientiert. Ich weiss nach zwei Wochen Italien nicht mehr so genau, wer ich in der Schweiz bin. Vielleicht ist es so mit uns mehrsprachigen Kindern: Wir sind ein Amalgam. Wie die englische Sprache sind wir ein Mix aus romanischen und germanischen Elementen. Eine neue Kreation. Vielleicht ist Englisch deshalb meine Lieblingssprache.

Und vielleicht ist mein Zuhause die Grenzzone, die Schnittmenge zwischen den Sprachen, Kulturen, zwischen denen ich auf- und wieder abtauche. Seit ich denken kann.